Abimael Guzmán hat in Peru mit dem Sendero Luminoso ein Blutbad angerichtet (2024)

Mit der Verhaftung von Abimael Guzmán ging 1992 der peruanische Albtraum zu Ende. Unzählige Menschen fielen dieser verhängnisvollen Revolution zum Opfer.

Mario Vargas Llosa

5 min

Abimael Guzmán hat in Peru mit dem Sendero Luminoso ein Blutbad angerichtet (1)

Als ich unlängst nach Peru reiste, griffen zahlreiche Zeitungen den aussergewöhnlichen Fall des 2021 im Gefängnis verstorbenen maoistischen Terroristen Abimael Guzmán auf. Der Gründer und Anführer des Sendero Luminoso, einer von Mao Zedong inspirierten Guerillaorganisation, versuchte mit Gewalt die Ideen des chinesischen Parteiführers in das peruanische Hochland zu übertragen. Auch die Hauptstadt Lima war betroffen, da es zu zahlreichen Terroranschlägen kam. Sie wurden von jungen Leuten verübt, die «das vierte Schwert des Kommunismus» (nach Marx, Lenin und Mao Zedong), wie Guzmán sich gerne nennen liess, angeworben und indoktriniert hatte.

Wie viele Peruaner mussten sterben wegen der Theorien dieses pummeligen Fanatikers, der mehrmals verheiratet und ein passionierter Tänzer war? Er strebte danach, das peruanische Hochland zum Kerngebiet der kommunistischen Revolution zu machen. Ich bin überzeugt, dass Guzmán und seine Armee, auf direkte oder indirekte Weise, wesentlich mehr Opfer zu verantworten haben, als offiziell genannt werden. Angesichts der vielen zerstörten Dörfer und der brutalen Vergeltungsmassnahmen des Sendero Luminoso gegen Gemeinden, die zögerten, sich der Revolution anzuschliessen, oder diese ablehnten, und angesichts der vielen toten Polizisten und Soldaten liegt die Vermutung nahe.

Aus Lima gesteuerter Terror

Inmitten der Bomben und Mordanschläge des Sendero Luminoso hatte ich mich immer gefragt, wer die Menschen waren, die Abimael Guzmáns Ideen verfallen waren. Zumindest das ist heute klar. Es waren vor allem Frauen aus der Mittelschicht und frustrierte junge Leute, die die Rhetorik der Kommunisten satthatten und sich ungeduldig nach Taten sehnten. Sie schlossen sich Guzmán an, ohne jedoch eine uniforme Masse zu bilden wie die Anhänger anderer revolutionärer Gruppierungen, die Moskau oder China nahestanden und den Sendero Luminoso daher ablehnten.

Vermutlich hatten nur die wenigsten von Guzmáns Anhängern eine Vorstellung davon, worauf sie sich einliessen. Das bewahrte sie allerdings nicht vor Verhaftungen und Folterungen durch die Polizei oder das Militär, die ihrerseits nicht recht wussten, wie sie Guzmáns Truppen am effizientesten bekämpfen sollten.

Gemäss Carlos Paredes, der in seinem Buch «La hora final» (Die letzte Stunde) den «Fall Guzmán» zu erklären versucht, entwickelte die Polizei im Laufe der Zeit ein ausgeklügeltes System, um den Spuren zu folgen, die Guzmán während seiner vielen Umzüge in Lima hinterliess. Denn obwohl er Professor an der Universität von Huamanga war, als der Sendero Luminoso seine ersten Anschläge durchführte, blieb er entgegen der bisherigen Meinung immer in Lima. Er setzte nie einen Fuss in das Hochland, wo seine revolutionären Theorien in die Tat umgesetzt wurden. Während im Hochland in seinem Namen Morde verübt wurden, blieb Guzmán die ganze Zeit über in Lima.

Und was dort auf dem Land geschah, war schlichtweg schrecklich. Man braucht sich bloss die Dokumentarfilme zu diesem Thema anzusehen, zum Beispiel die von Judith Vélez. Sie vermitteln einen Eindruck von der grausamen Repression in diesen Gegenden fernab der Medien, wo die militanten Anhänger von Guzmán folterten und mordeten.

Der Leiter einer Anti-Terror-Einheit, der in einem dieser Dokumentarfilme zu Wort kommt, schildert Abimael Guzmán als «einen sehr gebildeten und belesenen Mann». Ich habe einen anderen Eindruck. Für mich ist er ein Opportunist, der einen fast schon religiösen, nur von sehr wenigen seiner Anhänger hinterfragten Führerkult um seine Person schuf. Tatsächlich zogen grosse Teile der peruanischen Linken seine Thesen in Zweifel und verwarfen sie als «abenteuerlich», ein Adjektiv, das in diesem Fall genau zutraf.

Der Grund, warum Guzmán so lange von der Polizei unentdeckt blieb, hat einen Vor- und Nachnamen: Es war eine junge Frau aus gutem Hause, die ihm half und dafür fünfundzwanzig Jahre im Gefängnis verbrachte. Ich rede von Maritza Yolanda Garrido-Lecca, einer damals jungen Balletttänzerin, die nach ihrer Haftentlassung eine Zeitlang am Stadtrand von Lima wohnte und sich jetzt offenbar im Ausland aufhält.

Sie mietete die Wohnung, in der Guzmán jahrelang lebte, und unterhielt dort eine Tanzschule, die Mädchen aus gutem Hause besuchten, um Ballettunterricht bei ihr zu nehmen. Guzmán tauchte dort unter, bis die Polizei sein Versteck entdeckte, dieses im September 1992 stürmte und ihn überwältigte. In einem von Vélez’ Dokumentarfilmen ist zu sehen, wie Guzmán während der Verhaftung einen Polizisten beruhigt, der eine Pistole auf ihn richtet. «Ganz ruhig», sagt der Anführer des Sendero Luminoso, «Sie sind bewaffnet, und ich habe verloren. Beruhigen Sie sich.»

Mit seiner Ergreifung ging der Albtraum, den Peru erlebt hatte, zu Ende. Unzählige Menschen fielen dieser verhängnisvollen Revolution zum Opfer, die Jahre zuvor in Lima mit an Laternenmasten aufgehängten Hunden begonnen hatte. Diese Aktion richtete sich gegen keinen Geringeren als Deng Xiaoping, den Initiator der aussergewöhnlichen wirtschaftlichen Entwicklung der Volksrepublik China. Ihm wurde vorgeworfen, das Vaterland Mao Zedongs an den amerikanischen Imperialismus zu verkaufen.

Ein Lichtblick für Peru

Was geschah mit Maritza Garrido-Lecca? Sie hat nie darüber gesprochen oder erklärt, warum sie tat, was sie getan hat. Ihr Fall ist einzigartig in den Annalen der Revolution. Normalerweise gibt es bei der vermeintlichen Umgestaltung eines Landes keine so verschwiegenen Figuren wie sie.

Steht es besser um Peru nach diesem schrecklichen Blutbad, das mit dem Mythos aufräumte, es sei ein friedliches, im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Staaten nicht von politischer Gewalt heimgesuchtes Land? Den jüngsten Ereignissen nach zu urteilen, scheint Peru weit davon entfernt zu sein, Frieden und Harmonie zwischen seinen Bürgern erreicht zu haben.

Vielleicht liegt das Positivste, das es zu feiern gilt, in der gegenwärtigen Zurückhaltung der Armee. Als Alberto Fujimori nach den Wahlen, die er gewonnen hatte, auch noch einen Staatsstreich durchführte, da er lieber ein Tyrann sein wollte, wurde er vom Militär unterstützt. Diesmal weigerte sich die Armee, dem Präsidenten Pedro Castillo bei seinem Putschversuch Schützenhilfe zu leisten. Stattdessen trat die verfassungsmässige Regelung in Kraft. Die Vizepräsidentin Dina Boluarte wurde zu Castillos Nachfolgerin bestimmt, bis in Peru Neuwahlen stattfinden.

Die letzten Wahlen hatten mit Castillo einen unfähigen Politiker an die Macht gebracht, der Peru in einen der groteskesten Staaten Lateinamerikas verwandelt hätte, die es je gegeben hätte, wenn sein Putsch erfolgreich gewesen wäre. Jetzt haben wir eine Vizepräsidentin, die vorübergehend das Präsidentenamt bekleidet und versprochen hat, die Nachfolge an denjenigen abzutreten, den die Peruaner wählen.

Der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa wurde 1936 in Peru geboren und lebt seit bald drei Jahrzehnten in Madrid. © Mario Vargas Llosa, 2023. – Aus dem Spanischen übersetzt von Carsten Regling.

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